Interview mit Peter Mansaray „Das Thema Rassismus muss alltäglicher werden“

Interview mit Peter Mansaray „Das Thema Rassismus muss alltäglicher werden“

Peter Mansaray ist seit neun Jahren Pastor und Seelsorger im Hamburger Stadtteil Borgfelde.

Nach der Ermordung von George Floyd ist das Thema Rassismus auch hierzulande wieder stärker in den Fokus gerückt. Dabei geht es nicht nur um spezielle Formen wie „racial profiling“ bei der Polizei, sondern um den strukturellen und institutionellen Alltagsrassismus in unserer Gesellschaft. Yvonne Nadler sprach mit Peter Mansaray, Leiter des Afrikanischen Zentrums Borgfelde und Pastor der African Christian Church in Hamburg, über Rassismus allgemein und in der Kirche und was man dagegen tun könnte.

Yvonne Nadler: Das Thema Rassismus wird aktuell wieder stärker thematisiert. Welche Aspekte der Debatte halten Sie für wichtig? Was ist Ihnen aufgefallen?
Peter Mansaray: Mir ist es wichtig, dass Rassismus nicht verallgemeinert wird. Es geht jetzt um Rassismus gegen Schwarze*Menschen. Wir sollten diesen Rassismus in unserer Gesellschaft benennen. Wir sollten jetzt überlegen, welche Maßnahmen können wir entwickeln, um auf diesen Rassismus einzugehen.

Es ist auch wichtig, dass dieser Kampf kein Schwarzer Kampf wird. Wir brauchen mehr Verbündete auf beiden Seiten, die dieses Thema ansprechen.

Die Mehrheitsgesellschaft, die Weißen, haben die Instrumente, um Rassismus zu thematisieren und zu bekämpfen. Sie sind in der Pflicht, das zu tun. Der latente Alltagsrassismus muss durch strukturelle und institutionelle Art bekämpft werden.

„Mit den Schwarzen Menschen reden, nicht über sie“

Was heißt das konkret?
Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, sind damit meist allein. Sie schlucken den Alltagsrassismus und merken, dass sie keine Chance haben, sich dagegen zu wehren. Es geht darum, Menschen, die diese Erfahrungen machen, ernst zu nehmen. Mit den Schwarzen Menschen reden, nicht über sie.

Sie sind Pastor der African Christian Church hier in Hamburg und Seelsorger im Afrikanischen Zentrum Borgfelde. Ermutigen Sie Menschen in der Gemeinde und in Ihrem Umfeld, aktiv anzusprechen, wenn ihnen Rassismus begegnet?
Ich mache einer Art Empowerment für meine Leute hier, dass sie nicht scheuen, das anzusprechen. Dass sie, wenn etwas passiert, hierherkommen können, um darüber zu sprechen. Ich ermutige sie aber auch, aufzupassen, wenn sie in einer Situation in der Minderzahl sind. Ich würde jetzt nicht an einem Bahnhof, an dem drei starke Männer stehen und mich beleidigen, sagen: ‚Ihr seid Rassisten!‘ Denn sie würden mich niederschlagen. Aber wenn ich in einem Gespräch in einer vertrauten Situation bin, in der sich jemand rassistisch äußert, dann reagiere ich sofort und sage: ‚Das geht nicht! Ich fühle mich verletzt in dem, was du gesagt hast.‘

Abwehr als Reaktion auf den Vorwurf von Rassismus

Wie wird darauf reagiert?
Die Menschen fühlen sich häufig erst einmal ertappt und reagieren überrascht, wenn das Wort Rassismus ins Spiel kommt. Es ist oft sogar eine Art Abwehr: ‚Nein, nein rassistisch bin ich nicht. Bei mir gibt es dieses Phänomen nicht’.

Es gibt aber auch andere Beispiele: Vor einiger Zeit kam ein deutscher Student zu mir, der mit mir darüber gesprochen hat, dass er ein Problem damit habe, dass seine Freundin eine Beziehung mit einem Schwarzen hatte. Er war nicht böse oder gewalttätig. Er wollte einfach Hilfe holen, sich mit dieser Thematik auseinandersetzen.

Und was halten Sie davon?
Ich habe ihn gelobt. Das war eines der schönsten Gespräche hier, das ich je gehabt habe. Ich hoffe, dass Viele, die solche Rassismen mit sich herumtragen, sich trauen, das zu äußern und fragen, ‚wie kann ich damit umgehen?’. Sonst bleibt Rassismus latent in der Gesellschaft bestehen.

„In der Kirche gibt es keinen offenen Rassismus“

Wo zeigt sich struktureller und institutioneller Rassismus in der Kirche?
In der Kirche gibt es keinen offenen Rassismus. Dass man anhand einer Hautfarbe sagt, du kommst nicht in die Kirche oder nicht in diese Position, das gibt es nicht. Aber es gibt auch in der Kirche Menschen, die dich anders anschauen, die dir nicht die Hand geben mögen. Der latente Rassismus muss als Thema in unserer Kirche angesprochen werden. Es muss zu unserem Alltag werden, dass wir das nicht einfach unter den Teppich kehren. Es ist unangenehm, ich weiß. Aber wir müssen Rassismus ansprechen: gerade als Kirche. Das ist unsere prophetische Aufgabe.

Und die Kirche hat ja schon einiges auf den Weg gebracht. Wir haben ja den interkulturellen Öffnungsprozess der Nordkirche. Es gibt einen Qualitätszirkel zum Thema  Rassismus und Gesellschaft in der Kirche. Das ist ein Zeichen, dass das Thema auch von der Leitungsebene bearbeitet wird. Es gibt noch mehr zu tun, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Interkulturelle Öffnung bedeutet Anderssein zu verkraften und Rassismus stärker zu thematisieren.

 

„Zum Antirassismus-Training kommen immer dieselben Leute“

Haben Sie das Gefühl, man hört Sie zu dem Thema in der Kirche an?
Ich werde als Person und in meiner Arbeit ernst genommen. Aber: Das Thema Rassismus muss alltäglicher werden. Ich wünsche mir mehr Veranstaltungen dazu.

Es ist ja so: Zum Antirassismus-Training kommen immer dieselben Leute. Das ist ein Zeichen, dass das Thema nicht ernst genommen wird. Kirchliche Gremien wirken manchmal wie ein ‚closed shop’ für Menschen, die anders sind.

Das hat auch Diakonieleiter Dirk Ahrens gesagt im Interview, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft zu wenig in der Mitgliedschaft geschweige denn der Leitungsebenen von Kirche und Diakonie abbildet…
Ja, das ist so. Die Leitungsebene muss sich öffnen für das Neue, und auch die Kirchengemeinden müssen ermuntert werden, ihre Gremien zu öffnen. Die Kirchengemeinde in St. Georg ist da ein Vorbild, sie hat uns in den Kirchengemeinderat eingeladen. Nochmal: Der Schritt muss von der überlegenen Mehrheitsgesellschaft kommen. Das ist deren Pflicht. Wenn diese mich einlädt in Gremien, fühle ich mich wertgeschätzt. Wenn ein Mensch das Gefühl hat, er ist gewollt, kann er sein Potenzial voll ausschöpfen.

„Die Bekämpfung von Rassismus ist keine Alltagsfliege“

Was wünschen Sie sich?
Es muss eine Studie geben, in unserer Kirche, in der Mitglieder und Funktionäre nach ihrem Verständnis von Rassismus gefragt werden. Anhand der Auswertung sollten Maßnahmen entwickelt werden. Dafür braucht es eine Stelle. Ich spreche hier nicht von einem ad-hoc-Komitee, mit dem man auf die aktuellen Ereignisse reagiert und zeigt: Wir sind international. Nein. Die Bekämpfung von Rassismus ist keine Alltagsfliege, das wird lange dauern. Rassismus ist in unserer Kultur tief verwurzelt. Man stelle sich vor: Die Kirche hat ein Büro Antidiskriminierung und Antirassismus, und dieses Büro leitet eine afrikanische Frau, frisch aus der Uni, voll mit Power und Energie. Das würde der Gesellschaft die Augen öffnen und zeigen, dass Kirche das Thema ernst nimmt. Wenn ich entscheiden könnte, gäbe es diese Stelle ab sofort.

 

Benachteiligte Menschen an die Hand nehmen

Nichtsdestotrotz wäre ja die optimale Vorstellung, dass sie überall anklopfen können und hereingelassen werden… 
Ja, das wäre das Beste. Aber von allein passiert nichts. Wie man auf Deutsch sagt, die Leute müssen zu ihrem Glück gezwungen werden. Es muss Maßnahmen geben. Zum Beispiel solche, die gezielt die Pastorenschaft von Menschen mit dunkler Hautfarbe unterstützen. Das bedeutet, Jugendliche afrikanischer Herkunft in den Gemeinden anzusprechen, Theologie zu studieren, Stipendienprogramme für sie zu erarbeiten. Benachteiligte Menschen müssen an die Hand genommen werden. Sonst passiert überhaupt nichts. Die schaffen das nicht. Es muss gezeigt werden, ihr seid gewollt. Und wenn der Mensch merkt, er ist gewollt, dann kann er blühen wie eine Blume.

Und, wie Sie sagen, die Möglichkeit haben, Rassismus zu thematisieren und anzusprechen…
Richtig. Rassismus kann überall passieren, bei jedem. Jeder muss sich bewusst sein, ich bin nicht immun gegen Rassismus. Es gibt Stereotypen, die man hat, aber diesen Stereotypen und Vorurteilen muss man begegnen. Jeder Mensch, jeder von uns hat Vorurteile. Deswegen muss jeder bei sich selbst schauen.

„Davon ausgehen, dass Schwarze kein Deutsch sprechen können. Das ist Rassismus“

Haben Sie Beispiele für subtilen Alltagsrassismus?
In der U-Bahn zum Beispiel sitzen wir meistens allein da, für uns ist es fast Normalität. Es kommt auch häufig vor, dass Weiße Menschen Schwarze Menschen auf Englisch ansprechen, automatisch. Weil sie davon ausgehen, dass Schwarze kein Deutsch sprechen können. Das ist Rassismus.

Wie kann man diese Situationen verbessern?
Setzen Sie sich als Weiße Person daneben. Dann setzt über nonverbale Kommunikation bei anderen Weißen Menschen vielleicht ein Nachdenken ein darüber, warum sie sich nicht neben den Schwarzen Mann gesetzt haben. Und sprechen Sie alle Menschen erst einmal auf Deutsch an, besonders fremde Menschen, lächeln Sie sie an und fragen: ‚Wie geht es Ihnen heute?’. Die Menschen merken dann, dass jemand sie wahrnimmt und nett zu ihnen ist. Das hilft sehr.

Ich möchte noch etwas abschließend sagen: Ich möchte, dass meine Kinder Deutschland als Heimat ansehen. Sie kennen Afrika nur aus Urlauben. Es wäre schade, wenn sie eines Tages sagen, wir sind Afrikaner aus Sierra Leone. Dann ist etwas falsch an dieser Gesellschaft.

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*Schwarz und Weiß werden hier großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt, und keine reelle „Eigenschaft“, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. Mehr Infos in diesem Beitrag der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland sowie im Glossar für diskriminierungssensible Sprache von Amnesty International